Fragen aus Interesse - Reaktion Umfeld

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unterwegs
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Fragen aus Interesse - Reaktion Umfeld

Beitrag von unterwegs » Sa 7. Mai 2022, 07:10

Hallo,

seit längerer Zeit beschäftigt mich etwas. Jetzt kann ich es endlich so langsam in Worte fassen.

Wie sind eure Erfahrungen mit dem Umfeld (Angehörige, Freunde, Psychologen, Therapeuten, Ärzte usw.) wenn ihr das Thema MB / Vergew* angesprochen habt?

Was macht das mit euch?

Mir gegenüber gab es verschiedene Reaktionen. Zuerst die häufigsten. Deswegen frage ich. Diese beschäftigen mich am meisten.

1. Das tut mir Leid.
2. Dann bist du bestimmt selbst schuld. Dann wirst du sicher was getan haben!

Zweitens brauche ich denke ich nicht sooo ausführlich machen. Täter-Opfer-Umkehr. Der/Die arme Täter/in.

Häufig: die eigene Angst. Wenn das Opfer selbst schuld ist, kann es einem selbst nicht passieren.
Aber auch: wenn der/die Schuldige (in den Köpfen das Opfer) gefunden ist, ist der Fall abgehakt und kann weggeschoben werden.
Sympathie zum Täter/in
usw.


Was mich jedoch mehr beschäftigt (seltener vorkommt als zweitens), ist 1.

"Das tut mir Leid."

Okaaaaay ???? In meinem Kopf rattert es, Rätselraten. Ganze Denkmaschinen rattern.

Warum entschuldigt sich jemand? Also jemand Außenstehendes! Psychologe/in, Therapeut/in, Lehrer/in?
Wieso?!

Dass sich eine Verwandte aufrichtig entschuldigt hat, leuchtet mir ein. Diese Person hatte mich vor Jahren irrtümlich abgewiesen. Nicht aus Bösartigkeit. Sondern unter der Manipulation der Tatperson. Wir sprechen viel darüber. Das hilft uns beiden. Das verstehe ich.

Was mich beschäftigt UND belastet: warum sagen andere, dass es "Leid tut". Als Floskel?
Zum Abwenden?
'Sch** ich will mit dem Thema nichts zu tun haben.'
'sch**, jetzt kann ich es nicht mehr ignorieren'? Tut mir Leid, erledigt, weg.
Ein Lehrer hat hinterher die Flucht ergriffen. Erst fragte er, ob er helfen könne, versprach Hilfe. Dann zack weg. Nicht mehr gegrüßt und ging in großen weiten Bögen aus dem Weg. Dabei war das noch nicht mal das MB Thema, sondern "nur" Schwierigkeiten zu Hause. Bloß nichts damit zu tun haben.

Dieses "Tut mir Leid" und Flucht habe ich schon sehr oft erlebt.

Ganz wenige Male, wo ich es der Person glaube: Ausdruck von Entsetzen. Ernst nehmen.
Nur schwierig.
Weil ich mich dann als Opfer fühle. Bemitleidet.
Mitgefühl finde ich super. Das ist verständlicherweise oft schwierig. Weil es mächtige Gefühle sind, weil es auch als Außenstehende, was auslöst.
Mitleid verfrachtet mich emotional wieder in die Opferrolle. Wo ich ja raus will. Ich will darüber sprechen können, ohne ver- / beurteilt zu werden. So wie andere über ihre Kindheit sprechen können, möchte ich nicht so tun, als wäre alles happy gewesen. Ich will mich nicht erpressbar machen. Wenn ich immer schweigen 'muss' weil andere das gedeckmantelt im Tabu halten wollen, dann fühle ich mich erpressbar. "Warte nur, wenn DAS rauskommt!!"
Ja, was denn? Dass die Tatperson böse war! Dass die Tatperson böses angetan hat! Dass ich versucht habe mich zu wehren? Dass ich das Böse nicht wollte? Dass ich einfach leben will? Jepp, auch das habe ich schon erlebt. Drohungen von anderen, mit dem Versuch mich zu erpressen.
Als Schutz der Mitwissenenden, der Tatperson. Danke - NEIN DANKE !
Ich will nicht erpresst werden und ich will nicht, dass es mir noch mal angetan wird.


Gedankensprung.
Also wenn jemand sagt "Das tut mir Leid", dann überfordert mich das.
Folgen darauf Gespräche, die auf Mitgefühl basieren, ok.

Aber es kann auch bedeuten:
bleib bloß weg. Geh weg mit dem Thema. Hau ab, damit ich mich nicht damit beschäftigen muss.

Aber auch, was mich stark triggert:
ist die Person selbst Betroffene/r?
Wurde die Person als Kind selbst so "erzogen" (gedrillt, eingetrichtert, manipuliert...). Immer entschuldigen, damit die Person lieb-Kind ist, Harmonie, keinen Ärger bekommt?
Das tut mir weh, weil mir oft von der Tatperson unterstellt wurde, selbst Täterin zu sein - mir wurde angetan, aber die arme Tatperson.....
und auch von der Reaktion mit der Erpressbarkeit.... da ist ja auch der Vorwurfe beigemengt, ich wäre die unrecht-tuende. Was ja nicht so ist. Ich hab nur kein Bock mehr Täter/innen und Mitwissende zu schützen.

Das Gefühl löst es dann wieder bei mir aus.
Ist die Person, die "tut mir Leid" sagt, selbst manipuliert worden?
Ist das nur ein Reflex?
Nimmt mich die Person wirklich ernst?
Ist ein Reflex, in Form von - ich schmeiße was gegen die Wand und zerstöre was und die Person entschuldigt sich bei mir? Weil antrainiert? Weil eigene alte Muster?


Ist es einfach Verzweiflung und Unwissenheit, Überforderung?
Dass die Person helfen möchte und überfordert ist?
Z.B. weil über das Tabu nicht gesprochen wird
weil das Tabu MB / Vergew. totgeschwiegen wurde, als die Person aufwuchs
weil es noch keine Berührungspunkte zu dem Thema gab?

Damit kann ich dann wieder umgehen. Deswegen spreche ich ja. Deswegen breche ich mein Schweigen. Um mir selbst und anderen eine Stimme zu geben, die wir nicht hatten, nicht haben durften. Dieses doppelte Schweigen sollen kotzt mich an. Täter/innen und dann noch gesellschaftlich, damit es weiter im Tabu bleiben kann und niemand sich damit befassen muss. :evil: dreifach .... damit Trittbrettfahrer sich durch Erpressung Vorteile von mir verschaffen können wollten :evil:



Wie geht es euch?
Was macht das mit euch?

Sofern ihr euch mitteilen möchtet.


Freunde haben übrigens ganz anders reagiert.
Die beste Reaktion fand ich
***ße ist dir das passiert ?!

Da war alles an Emotionen dabei, was mir geholfen hat.
Wut
Entsetzen
ernst nehmen
personenbezogen
KEINE Schuldumkehr
KEIN Verharmlosen
KEIN abwerten
...

Wut / Entsetzen über die Tat! NICHT darüber, dass ich rede! Ganz, ganz extrem wichtig für mich.

Susa
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Re: Fragen aus Interesse - Reaktion Umfeld

Beitrag von Susa » Sa 7. Mai 2022, 20:45

Hallo unterwegs,
ich probiere mal das zu sagen, was mir bei deinem Text eingefallen ist.
1. du darfst nicht vergessen, das sehr viele Menschen mit dem Thema MB überfordert sind, das
verunsichert sie und sie wissen nicht wie sie sich richtig verhalten sollen. Das ist nichts böses,
aber sie reagieren halt dann auch sehr unterschiedlich und vielleicht für dich auch schmerzhaft.
2. ich gehe schon offen mit dem Thema um, aber jedem muss ich es nicht sagen. Die Ärzte mit
den ganzen Therapeuten, auch Physioleute, haben das gut aufgenommen. Den Physioleuten
wollte ich das ansprechen, wegen der Therapie bei ihnen, wir haben dann kurz darüber geredet,
was ich zulassen kann und was nicht. jetzt sind wir schon viel weiter mit dem anfassen.
3. ich denke, Du denkst zuviel nach, was die anderen denken oder fühlen könnten, das bringt
dich total durcheinander. Im Prinzip ist das unwichtig, wenn es für die wichtig ist, dann kannst
du sie ja direkt darauf ansprechen.
4. "es tut mir leid", könnte doch auch heißen, es tut mir leid das du sowas erleben musstest.

LG Susa
Probleme sind da um gelöst zu werden

unterwegs
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Re: Fragen aus Interesse - Reaktion Umfeld

Beitrag von unterwegs » So 8. Mai 2022, 09:54

Hallo Susa,

vielen Dank

1. -> in 3. beschreibst du es sehr gut. Ich denke viel nach, weil ich niemandem etwas Böses unterstellen will!
Daher gehe ich in erster Linie zuerst von Unsicherheit aus. WEIL ich weiß, wie viel Tabu noch drinnen steckt. Weil ich mitbekomme wie sehr sich der Verein dafür einsetzt. Weil ich die Vereinsarbeit sehr zu schätzen weiß.

Deswegen möchte ich mir und anderen eine Stimme geben. Damit diejenigen, die noch nie damit zu tun hatten, sanfter an das Thema herangeführt werden können. Also nicht erst dann, wenn es wie ein Holzhammer im direkten Umfeld ans Licht kommt, sondern irgendwie sensibilisiert werden können....

Ich versuche immer zuerst von Unsicherheit oder gut gemeint auszugehen.
Dass es bös gesagt - böse gemeint - sein könnte, behaupte ich erst, wenn ich mir sicher bin. Wenn jemand ganz direkt sagt, dass es so gemeint ist. Wenn jemand offensichtlich sehr ignorant vorgeht.
Das ist für mich sehr wichtig. Weil wenn ich das nicht tue - wäre ich bei den Guten ständig unsicher (was mich und andere stresst) .... und würde den "Bösen" zu lange zu viel vertrauen. Weil ich darauf ja dressiert werden sollte. Ich will mir aber nicht mehr alles von allen gefallen lassen. Wenn jemand krass sagt, dass die Person mir schaden will (deutlichste Form), dann muss ich das im Kopf so sortieren: "meint es böse, ich DARF mich schützen! Meine Aufgabe mich zu schützen". Automatisch kann ich das nicht. Das durchläuft bei mir den Denk-Sprach-Prozess. Nur auf der sprachlosen Emotionsebene zerreißt es mich, tut weh, schüttelt es mich.... dann lieber denke ich etwas mehr und vertraue dann gedankenlos entspannt langfristig.

2. sehe ich auch so. Nicht jeder Arzt weiß es.
Bei manchen deswegen nicht, weil sie auch ohne "Faktoren" für psychisches, mich sofort in die Psychoecke gesteckt hatten. Da gelte ich lieber als psychisch gesund und mir ist niiiie was passiert - um überhaupt eine Chance zu haben, mit meinem Anliegen angehört zu werden. Zitat einer Fachärztin: "wenn Sie in den letzten zehn Jahren Stress hatten, kann es nicht an *** (konkretes Organ) liegen.
Eigentlich kann ich nicht lügen. In dem Moment war ich soooo ..... die war so krass zu mir, dass ich knallhart behauptete in den vergangenen zehn Jahren KEINEN Stress gehabt zu haben. Ich war so verzweifelt und brauchte die Untersuchung. Geglaubt hat sie mir nicht, gegenteiliges beweisen auch nicht. Ihre eigene geschaffene "Voraussetzung" war ja auch schon auf einer ihrer Lüge aufgebaut.

Eine andere Ärztin weiß es nicht, weil da die Untersuchungen super funktionieren. Für mich ist es ein schönes Gefühl es nicht sagen zu müssen. Aber jederzeit dürfen zu können.

Die Ärzte/Therapeuten/Arzthelfer-innen, die es wissen: aus dem Grund wie du es schilderst. Was geht und was geht nicht. Ich möchte Behandlungserfolg. Das geht manchmal nur langsamer oder mit Absprachen.

4. hilft mir enorm viel weiter !

Da habe ich direkt einen Trigger gefunden.
Bisher kannte ich es aus der Opfer-Schuld-Umkehr. "Es tut mir Leid, dass dir das passiert ist" mit herblassendem Unterton, von Tatpersonen, Mittäter/innen usw.

Dass es auch so gemeint sein könnte, wie du es beschreibst, eröffnet mir eine neue wichtige Perspektive.
Rückblickend auf eine bestimmte Situation angewendet, nimmt mir das einen großen Felsen vom Herzen, weil es da so wirklich prima darauf passt. :mrgreen:


Früher habe ich das alleine mit mir ausgemacht. Was mich massiv gestresst hat.
Heute habe ich das Vertrauen es aussprechen zu dürfen. Dann sehen zwar andere, dass ich denke. Aber es entspannt mich soooo sehr.
Z.B. mit 4. das hat mir jetzt so viel weitergeholfen, dass es mich nicht mehr stressen wird. Wie ein kleines Kind, das nach Tausend Fehlversuchen endlich etwas kann, was es können wollte und frustriert war, weil es noch nicht geklappt hatte ;)

Susa
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Re: Fragen aus Interesse - Reaktion Umfeld

Beitrag von Susa » Mo 9. Mai 2022, 21:02

:D
mach weiter so.
LG Susa
Probleme sind da um gelöst zu werden

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Re: Fragen aus Interesse - Reaktion Umfeld

Beitrag von unterwegs » Do 12. Mai 2022, 03:46

Susa hat geschrieben: Mo 9. Mai 2022, 21:02 :D
mach weiter so.
LG Susa
Danke :mrgreen:
Das zu lesen tut mir gerade richtig sehr viel gut :mrgreen: 8-) :D

ElkeSK
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Re: Fragen aus Interesse - Reaktion Umfeld

Beitrag von ElkeSK » So 11. Dez 2022, 06:43

Hey unterwegs,

gerne möchte ich meine Idee zu Deiner Anfrage äußern.

Sehr wahrscheinlich meinen es die meisten nicht böse, so wie es Susa auch schon geschrieben hatte.

Wenn ich Dir zum Beispiel „es tut mir leid“ gesagt hätte, dann meine ich nicht die Entschuldigung. Sondern vielmehr hörst Du dann die aufrichtigen Worte meines Mitgefühls. Ich leide quasi mit Dir mit.
Aber ich gebe Dir recht, nicht jede Person wird so reagieren. Vielleicht sollte es Dir dann auch einfach egal sein, weil die Auffassungsgabe der- oder desjenigen nicht reicht.

Liebe Grüße

Elke

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