Frauen als Täterinnen

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann davon ausgegangen werden, dass etwa 90% der Täter männlich und 10% weiblich sind. Diese Zahlenangaben stellen eher Schätzungen dar, die aufgrund von Untersuchungen mit kleineren Stichproben erfolgten. Forschungen über weibliche Täter sind in der Bundesrepublik bisher nicht ausreichend durchgeführt worden. Den Mitarbeitern von Beratungsstellen gegen sexuelle Gewalt wurde erst sukzessive bewusst, dass auch Frauen Mädchen und Jungen sexuell missbrauchen. Dieses konnte jedoch erst geschehen, als das Tabu, dass auch Frauen Täterinnen sind, allmählich aufbrach.

Erst allmählich reifte die Einsicht, dass sexueller Missbrauch zwar seltener als von Männern, aber keineswegs vereinzelt, durch Frauen ausgeübt wird. Es stellt also eine Notwendigkeit dar, sich mit dieser Facette sexueller Gewalt auseinanderzusetzen.

Sexueller Missbrauch durch Frauen unterliegt, aufgrund von Weiblichkeits- und Mütterlichkeitsmythologien, derzeit einem noch größeren Tabu als sexueller Missbrauch durch Männer. Es ist aber davon auszugehen, dass eine Enttabuisierung dazu beiträgt, eigene Betroffenheit und damit Prävalenz und Phänomenologie bekanntzumachen. Ein weiterer Aspekt ist die zögernde Bereitschaft von Männern/Jungen, über den erlebten sexuellen Missbrauch zu sprechen. Außerdem wird sexueller Missbrauch an einem (pubertierenden) Jungen durch eine Frau von ihm selbst und von der Gesellschaft oft nicht als sexuelle Ausbeutung eingestuft, sondern als "Einweihung ins Mannesalter" durch eine "erfahrene" und "reife" Frau angesehen oder umgedeutet. Deshalb verdrängen männliche Opfer eher Erinnerungen an einen Missbrauch durch Frauen als an einen durch Männer.

Oft wird behauptet, der Junge würde quasi mit Erfahrungen "beschenkt", weil er jetzt wisse, wie mit Frauen "umzugehen" ist und nun nicht mehr "stümperhaft" mit pubertierenden Mädchen "herumexperimentieren" müsse. Sexueller Missbrauch durch eine Frau ist für die meisten Jungen jedoch weniger ein Geschenk, sondern vielmehr, ähnlich wie für Mädchen, eine erhebliche Störung in der psychosexuellen Entwicklung. Sexueller Missbrauch durch Frauen ist schwerer wahrzunehmen und aufzuklären, da er häufig in Pflege- und Fürsorgeverhalten eingebunden ist. Die Mutter wird als asexuelles Wesen gesehen, die sich dem Kind selbstlos zuwendet. Die Fürsorge und Pflege der Kinder obliegt auch heute noch vor allem den Frauen. Ihnen wird ein intensiverer Körperkontakt zu Kindern zugestanden als Männern, und bestimmte Handlungen werden bei Frauen noch als "normal" angesehen, die bei Männern schon als Übergriffe wahrgenommen werden.

So kann das Sorge- und Pflegeverhalten von Müttern oder Frauen, wenn es mit sexuellen Übergriffen gekoppelt sein sollte, gut kaschiert werden. Frauen werden als das "friedfertige Geschlecht" sozialisiert und wurden deshalb lange nicht als potentielle Täterinnen in Betracht gezogen. Frauen sind jedoch nicht nur Angriffsfläche für männliche Gewalt, sondern auch in der Lage, gegenüber statusniedrigeren, schwächeren Personen Gewalt auszuüben.

Gründe, die erklären, warum weniger Frauen als Männer zu Täterinnen werden :

Die geschlechtsspezifische Erziehung prägt die Orientierung bei Mädchen und Frauen auf ältere, größere und stärkere Partner und ist deshalb nicht auf dominantes Rollenverhalten gerichtet. Hier soll einmal plakativ der Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Sexualverhalten gegenübergestellt werden: Männer sind auch heute noch meist die Aktiven im Herstellen von Sexualkontakten. Die fehlende Akzeptanz gegenüber dem "NEIN" einer Frau führt dazu, dass sie sich angespornt fühlen, die Frau dennoch zu erobern. Sie setzen sich notfalls über physische und psychische Grenzen hinweg. Sie deuten das "NEIN" um als verdeckten Wunsch nach Sexualität und bestätigen damit die Rollenerwartung an Frauen, sich nicht allzu schnell in Sexualkontakte einzulassen.

  • Frauen neigen viel weniger als Männer dazu, Beziehungen zu sexualisieren und verhalten sich deshalb weniger promiskuitiv. Während Frauen eher durch den Kontext einer emotionalen Beziehung zum Partner sexuell erregt werden, sind Männer eher durch Außenreize außerhalb des Beziehungskontextes erregbar (z.B. durch Pornographie).
  • Frauen können besser zwischen Gefühlen von Zuneigung, Zärtlichkeit und sexuellen Gefühlen unterscheiden. Männer neigen eher dazu, nicht-sexuelle Kontakte als sexuelle zu deuten. Männer reduzieren positive Zuwendung auf Sexualität und leiten daraus automatisch Penetration ab. 
  • Das Selbstwertgefühl bei Frauen ist weniger auf sexuelle Aktivitäten und Bestätigung ausgerichtet als bei Männern. Frauen werden schon als Mädchen auf die Mutterrolle hin erzogen und sind daher stärker am Wohlergehen der Kinder interessiert als Männer.
  • Frauen werden häufiger als Männer versuchen, Mädchen vor sexuellen Übergriffen zu bewahren und ihre eigenen Impulse zu sexuellem Missbrauch eher unterdrücken. Die Fixierung der Geschlechterrolle sieht für Frauen die Auswahl älterer Partner vor und stigmatisiert Beziehungen zwischen älteren Frauen und jüngeren Männern negativ. Umgekehrt werden Sexualkonzepte oder Heirat zwischen älteren Herren und minderjährigen Mädchen toleriert und partiell sogar glorifiziert als persönlicher, besonders männlicher Erfolg bewertet. 
  • Mädchen (Frauen) werden in ihrer Sozialisation eher zu empathischen Verhalten erzogen (angehalten), als Jungen (Männer). Diese Tatsache kann dazu beitragen, dass Frauen von Missbrauchshandlungen eher abgeschreckt werden. Konfliktbewältigungen von Frauen und Mädchen erfolgen häufig autoaggressiv und instrumentell. Die Reinszenierung eigener Opfererlebnisse erfolgt selten durch die Einnahme der Täterinnenrolle. Männer neigen eher als Frauen dazu, zwischen der eigenen Person und den Geschlechtsorganen zu trennen. Männer funktionalisieren ihren Körper und setzen ihn als Mittel ein und können ihren Penis als Waffe einsetzen und dadurch Gewalt ausüben.

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